Sport.de macht ein spannendes Thema auf. Wie gut war die Kaderplanung des VfB Stuttgart für die Saison 24/25?
Ich glaube, bei den Planungen für die Abwehr spielte Anton eine entscheidende Rolle. Sein Abgang traf den VfB eher unvorbereitet und dennoch war die Zeit ausreichend um darauf zu reagieren. Meiner Meinung nach war es letztlich eine Frage der Gewichtung.
Der Fokus lag zunächst auf der Offensive. Das lässt sich leicht erklären. Das Prunkstück der Saison 23/24 war nunmal der Angriff. Guirassy und Undav kamen wettbewerbsübergreifend auf 62 Scorer. Auch wenn der VfB noch versuchte Serhou von einem Bleiben zu überzeugen, war Guirassy nicht zu halten. Undav, der nur auf Leihbasis für den VfB spielte sollte hingegen unbedingt gehalten werden. Aufgrund einer schlechten Verhandlungsposition (Rückkaufoption Brighton) musste man sich aber die Frage stellen ob das Gesamtpaket für Undav noch zu rechtfertigen ist. Eine Einigung bzgl der Vertragsmodalitäten zwischen dem VfB und Deniz Undav wurde zwar schnell erzielt, aber die Gespräche mit Brighton gestalteten sich schwierig. Ursprünglich forderten die Engländer 50 Millionen Euro Ablöse (inkl. Boni). Die sich bis in den August ziehenden Verhandlungen banden Ressourcen – nicht nur finanzielle.
Neben Undav und Guirassy sondierten auch Chris Führich und Enzo Millot den Markt. Beide konnten aufgrund von Ausstiegsklauseln den VfB verlassen. Wäre es dazu gekommen, hätte der VfB zwei weitere Offensivspieler verloren, die in der Vizemeister-Saison für 25 Scorer verantwortlich waren.
Planungssicherheit hatte man dementsprechend nur bei Jamie Leweling, Nick Woltemade, Justin Diehl und mit Abstrichen bei Silas. Ich kann also nachvollziehen, dass die Verpflichtungen von Undav, Demirovic, Rieder und El Bilal höchste Priorität hatten. Wobei man hierzu sagen muss, dass nicht nur mit diesen vier Spielern Verhandlungen liefen. Natürlich wurden auch weitere Optionen evaluiert und dementsprechend Ressourcen gebunden.
Die Abwehr hingegen stand eigentlich zu Beginn der Transferphase gut da. Lediglich Hiroki Ito informierte den Verein über seine klaren Abwanderungsgedanken. Mit Anton, Rouault, der Neuverpflichtung Chabot, Mittelstädt und Vagnoman hatte man eine starke Abwehrreihe. Zagadou war nach Verletzung auf einen guten Weg, Stergiou zeigte gegen Ende der Saison 23/24 welches Potenzial er hat und mit Stenzel gab es einen soliden Backup für alle Fälle. Auch Anrie Chase war auf dem Schirm von Hoeneß und Wohlgemuth. Nicht ohne Grund stand er in der Rückrunde 10 Mal im Spieltagskader. Frans Krätzig wurde als entwicklungsfähiger LV früh verpflichtet. Hendriks stärkte ebenfalls die Kadertiefe in der Defensive. Yannik Keitel, eine weitere Neuverpflichtung stellte seine Eignung als Innenverteidiger in der Rückründe beim SC Freiburg unter Beweis und könnte somit in angespannter Personallage durchaus auch im Abwehrverbund aushelfen.
Zweifellos war Antons Abgang dann ein schwerer Schlag für den VfB Stuttgart. Neben individueller, verlor der Klub Führungsqualität und auch Stabilität. Neuzugänge hätten sich an der Seite von Anton ganz anders einbauen lassen, auch weil Anton Initiator und Taktgeber in diversen Spielphasen war. Das zu kompensieren ist eigentlich nicht möglich. Schon gar nicht, wenn neben dem Stamm-IV und Kapitän auch noch dessen Abwehrpartner den Verein verlässt. Diesen Graben zuzuschütten benötigt selbst bei klugen Transferentscheidungen Zeit. Führung kaufst du dir nicht ein – sie entsteht aus der Gruppe heraus.
Nun kann man Substanzverlust nicht rein quantitativ auffangen, es braucht auch eine qualitative Kompensation. Quantitativ ist der VfB in der Defensive auch jetzt ordentlich aufgestellt. Die langwierigen Verletzungen von Rouault und Stergiou sorgten aber für zusätzliche Brisanz. Von Zagadous erneutem Ausfall ganz zu schweigen.
Anton und Ito waren Garanten für einen facettenreichen Spielaufbau und das gute Verteidigen des VfB Stuttgart. Progressive Läufe mit Ball, Chip-Bälle, Diagonalbälle, Pressingresistenz, Stellungsspiel, Tempo und Zweikampfführung zeichnete Ito und Anton aus. Mit Chabot verpflichtete man eine weitere Qualität, die dem VfB 23/24 fehlte – Zweikampfstärke bei Luftduellen. IMHO eine sehr gute Wahl.
Der Knackpunkt ist also wie man mit Antons Abgang umgegangen ist. Wie eingangs erwähnt wurde der VfB vom Anton-Transfer kalt erwischt und zum Handeln gezwungen.
In Anthony Rouault sah und sieht man einen entwicklungsfähigen IV, der perspektivisch auch in eine Leader-Rolle schlüpfen kann. Setzt du ihm jetzt einen erfahrenen IV vor die Nase oder forderst du ihn mit der Verpflichtung eines hochveranlagten und ebenfalls jungen IVs heraus? Ich persönlich bevorzuge Letzteres. Auch weil ich in den letzten Jahren miterleben durfte, wie Spieler beim VfB vom Mitläufer zum Leader wurden. Immer dann, wenn ein Führungsvakuum entstand, wurde dieser Raum durch andere Spieler besetzt, die sich durchaus als noch bessere Leader herausstellten als die Abgewanderten.
Ameen Al-Dakhil soll dieser Herausforderer sein. Leider kam er sehr spät und mit der Hypothek einer persistenten Muskelverletzung. Um beurteilen zu können ob sich Fabian Wohlgemuth hier verzockt hat, müsste ich die Alternativen kennen. Armel Bella-Kotchap? Auch ihn verfolgen seit Jahren Verletzungen. Danilho Doekhi? Viel zu teuer! Warmed Omari? Ihm fehlt mMn die Qualität. Konstantinos Mavropanos? Ihm fehlt die Konstanz. Loic Badé? Wollte nie zum VfB. Ich kann die Liste noch weiterführen, aber ich glaube mein Punkt ist klar.
Der VfB hat sich dafür entschieden mit Rouault und Al-Dakhil zwei jungen Innenverteidigern die Chance zu geben sich beim VfB weiterzuentwickeln. Auch Anrie Chase werden Perspektiven aufgezeigt. Kritisieren kann man, dass mit Al-Dakhil ein Spieler geholt wurde, der mindestens bis zum Frühjahr 2025 braucht um wieder das Leistungsniveau zu erreichen, das er vor seiner Verletzung hatte. Kritisieren kann man auch, dass die Kernkompetenzen von Ito und Anton nicht adäquat ersetzt wurden – eine Garantie, dass dies mit anderen Neuverpflichtungen gelungen wäre gibt es mMn aber nicht. Was auch daran liegt, dass mit Ito und Anton Führungspersönlichkeiten den Verein verlassen haben, die innerhalb des Teams hohes Ansehen genossen. Dieses Asset verpflichtest du nicht, es entwickelt sich.
Eine Frage der Gewichtung – die sportliche Führung des VfB Stuttgart führte in diesem Sommer einen Kampf an vielen Fronten. Man entschied sich dafür den größten Anteil der Transferausgaben in die Offensive zu stecken, weil sich hier qualitativ und quantitativ der größte Substanzverlust abzeichnete. Auch mit Blick auf die Zukunft eine nachvollziehbare Entscheidung. Für die Defensive wählte man einen anderen Weg, dessen Ende aber noch nicht absehbar ist. Hier gilt es die Entwicklung von Rouault, Al-Dakhil und ggf. auch Chase abzuwarten. Dennoch bin ich der Meinung, dass man sich auf dem Transfermarkt nach einem weiteren spielstarken Innenverteidiger umschauen sollte.
Die Kaderplanung des VfB Stuttgart nach 10 Spieltagen abschließend zu bewerten traue ich mir jetzt noch nicht zu. Wir sind mitten in einem Entwicklungsprozess. Die Zeit, die es bräuchte um neue Abläufe und Strukturen zu implementieren, sowie Neuzugänge langsam und nachhaltig einzubinden lässt der Spielplan und die angespannte Personallage nicht zu. Punktuell sehe auch ich Handlungsbedarf, aber von einer verfehlten Kaderplanung ist der VfB mMn weit entfernt.